"Ich hab mich gefragt, wann es endlich stoppt
Ich lieg' im Bett, mit der Decke überm Kopf
Doch auch wenn ich mich zu Hause verkriech'
Deine Worte sind da, wenn ich die Augen schließ'"
"Du bist genauso wie ich"
"I know you, you're like this; When shit don't go your way you needed me to fix it; And like me, I did; But I ran out of every reason"
Hallo Felix!
Es ist neu, deinen Namen auszuschreiben, der Welt ein Stückchen mehr von dir zu offenbaren. Dir mehr Raum zu geben, oder vielleicht doch nur den Platz, den du ja eh schon einnimmst? Wer weiß das schon, wen würde es interessieren außer mir? Du bist vergessen, für mein Umfeld bist du bereits gestorben. Du hast für sie vor Jahren schon deinen letzten Atemzug genommen, bist nicht mehr als eine blasse, unangenehme Erinnerung. Ein Schatten, der jährlich einmal auftaucht, eine namenlose Silhouette, die es zu verdrängen gilt.
Und das schaffen sie. Du existierst in den Köpfen nicht mehr, bist ausradiert worden. Zurecht. Du warst keine Bereicherung, für keinen von ihnen. Du hast ihnen nur Leid und Schmerz zugefügt, hast dich jahrelang an ihre Fersen geheftet und ihren Alltag vergiftet. Und deswegen ist es gut, dass du für sie nicht mehr existierst. Deswegen ist dein Verblassen ein Segen, dein Verschwinden alles, auf was ich all die Jahre gehofft habe.
Ein Segen für sie.
Kein Segen für mich.
Denn ich bin wieder allein. Allein mit dir, allein mit all den Bildern und Gerüchen, die mich seit bald 16 Jahren nicht mehr loslassen. 16 Jahre, 5840 Tage, 8409600 Minuten. Kannst du dir das vorstellen? So lange bist du nun schon ein Teil von mir, frisst dich wie ein Geschwür immer tiefer in meine Seele, hinterlässt dunkle, tote Flecken, die mich von innen heraus vergiften. Hättest du das damals gedacht? Dass diese paar Stunden unser beider Leben so sehr hätten verändern können? Nicht, dass du auch nur den Hauch einer Ahnung hättest, wie sehr du mich damals gebrochen hast - ich kenne die Abgründe ja selber noch nicht. Die bodenlosen, tiefschwarzen Abgründe, die sich Tag für Tag wieder neu auftun und mich in die Tiefe reißen, mir jegliche Kraft rauben und mich gebrochen zurücklassen.
Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe, Felix. Es ist nicht so, dass ich aufgeben möchte. Nein, das ist es nicht. Ich möchte weitermachen, möchte weiter kämpfen. Doch meine Kraft schwindet. Ich habe mich jahrelang am Leben erhalten mit dem Gedanken, dass es besser wird. Dass es einfacher wird. Weißt du, das war jahrelang mein einziger Anker. Jede Nacht, wenn ich schweißgebadet aufgewacht bin, dein Geruch noch in der Luft lag, mein Körper von deinen Berührungen immer noch brannte, jedes Mal dann habe ich mir gesagt, dass es besser wird. Dass die Nächte einfacher werden, dass die Tage wieder mit Leben und Farbe gefüllt sind. Dass ich endlich wieder an den Punkt komme, an dem ich etwas fühle - mehr als nur Wut und endlose Verzweiflung. Mehr als nur Angst und das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Mit diesem Gedanken habe ich mich von Tag zu Tag geschleppt, tue es immer noch. Es ist die einzige Hoffnung, die ich noch habe. Die einzige Hoffnung, dass meine Gefühle irgendwann wiederkommen, dass ich mich nicht vollends verloren habe. Dass ich noch in der Lage bin das Schöne, Bunte und Schillernde dieser Welt zu sehen, dass ich nicht verlernt habe glücklich zu sein. Dass sich all das, was ich Tag für Tag tue, alles, was ich nicht zeige, dass sich all das irgendwie lohnt, irgendwann auszahlt.
16 Jahre lang hast du mein Leben vergiftet.
16 Jahre lang hast du meinem Leben jegliche Farbe geraubt.
16 Jahre lang warst du jeden Tag an meiner Seite.
Bitte Felix, bitte lass mich gehen...
"I see your face when I look at mine."
Felix!
Der selbe Anfang wie immer, die selben fünf Buchstaben, die mein Leben für immer verändert haben. Es ist nur ein Name, nur dein Name. Ein einfaches Wort, fünf winzige, aneinandergereihte Schriftzeichen, so wenig...
Und diese Wut. Diese rasende, weltenverschlingende, brennende Wut, die durch meinen Körper lodert, mich in Flammen aufgehen lässt bei dem Gedanken, was du meinem kleinen Ich damals angetan hast. Die Bilder flackern vor meinen Augen, erst noch klein und unscharf, doch mit jeder Sekunde wird die Szene klarer, übersichtlicher. Das Zimmer ist dunkel. Rechts steht ein Regal mit allerlei Krimskrams. Daneben ein kleiner Schreibtisch. Darauf ein Laptop. Geöffnet. Ein Licht leuchtet. Blinkt rot. Mein Blick schweift weiter. Die Vorhänge sind bis auf einen winzigen Spalt zugezogen. Die Dunkelheit erfüllt fast das gesamte Zimmer, lediglich der kleine Lichtstreifen erhellt den Raum. Links neben der Tür steht ein kleiner Nachttisch. Daneben ein Bett. Auf dem Bett liegt ein winziger Körper. Klein, blass, zerbrechlich. Ein großer Körper, deiner, beugt sich über den kleinen, legt sich auf ihn. Ich sehe wie der schmale Brustkorb unter dem Gewicht deines Körpers kämpft, wie jeder Atemzug eine Qual wird. Der kleine Körper kämpft, er versucht verzweifelt zu entkommen. Deine Hände umschließen die winzigen Handgelenke, halten sie fest.
Und plötzlich starren mich leere Augen an. Augen, in denen ein winziger Hoffnungsschimmer gerade erlischt. Augen, die mich anflehen zu helfen. Augen, die die Welt nicht mehr verstehen, Augen eines Kindes, dessen Seele gebrochen wurde.
Ich schreie, brülle, tobe bis mir die Luft fehlt. Was tust du denn da? Merkst du nicht, was du dem kleinen Ding dort antust? Hör auf, hör doch endlich auf. Du bringst es um. Hör auf, ich bitte dich, hör doch bitte auf...
Ich falle auf die Knie, unfähig mich zu bewegen, unfähig, wegzusehen. Ich spüre jede Sekunde, jede kleinste Berührung. Spüre, wie Stück für Stück der Kinderseele verloren geht, wie du sie Sekunde für Sekunde mehr brichst. Ich spüre all das, erneut.
Unfähig dem ganzen ein Ende zu setzen. Unfähig, mich selbst zu retten.