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Raucher sterben früher

Ich sehe mich um, vergewisser mich, dass uns kein PED sieht und ziehe erneut an meiner Zigarette. Rauchfreies Klinikgelände, dass ich nicht lache. Mürrisch kicke ich einen Stein zur Seite und blinzel gegen die Sonne. Schweiß rinnt mir über den Rücken, saugt sich in mein Oberteil. Genervt ziehe ich ein weiteres Mal und fächer mir ein wenig Luft zu.
"Wenn die mir noch länger diese Jeti-Bekleidung zumuten erleide ich 'nen Kreislaufkollaps und sterbe. Aber dann vollgeschwitzt. Und dann müssen die mich ausziehen und waschen und dann stinke ich. Dann wissen se, was sie davon haben."
Ich strecke meine Beine aus und schaue Ferkel an. Ihr Blick ist nichtssagend, ihre Gedanken haben mit meinen die Flucht ergriffen. Gemeinsam streifen sie durch die Straßen, weit fort von diesem Ort an dem wir unsere Narben mit Jacken bedecken müssen.
"Ich habe eh keine Ahnung, was das soll." Hilflose Wut mischt sich in ihre Stimme, ein verzerrtes Grinsen klebt an ihren Lippen. "Ich mein', dann sollen sie uns halt gleich sagen, dass wir uns für unseren Körper schämen sollen und das keinem jemals zeigen sollen."
Ich nicke, nehme einen letzten Zug und schnippe den glimmenden Rest in Richtung Gebüsch. Es misslingt kläglich und während Ferkel fluchend zur Seite springt um einer Verbrennung zu entgehen muss ich mir ein Grinsen verkneifen. Wie ein Verdurstender starre ich auf ihre Zigarette, wie sie mit jeder Sekunde ein Stück kleiner wird und damit die Minuten, die uns noch verbleiben bevor wir wieder zurück müssen, symbolisieren. Ich lecke mir die Lippen nach der Freiheit, nach den Zigaretten und den täglichen Gesprächen mit Ferkel. Sie halten mich hier, sie halten mich jedes Mal wieder ein paar Tage länger in der Klinik zwischen Leere und Hoffnung.
Seufzend stecke ich mein Feuerzeug in meine Hosentasche und zucke die Achseln.
"Ich muss wieder hoch."
Ferkel zieht eine Grimasse und streckt ihren Mittelfinger Richtung Klinik. Nachdem sie einen letzten Zug genommen hat schnippt sie ihre Zigarette wesentlich eleganter als ich in die Büsche und dreht sich zu mir um.
"Wir hören später voneinander?"
Ich nicke und schlinge meine Arme um sie. Für einen Moment lege ich meinen Kopf auf ihre Schulter und möchte ihn nicht mehr dort weg nehmen. Ich möchte nicht mehr hoch gehen, ich möchte nicht mehr die kranken Mädchen sehen. Ich möchte keine Gespräche und Therapien mehr haben, ich möchte nicht mehr auf dem Weg der Besserung sein. Ich möchte keinem Druck stand halten müssen oder Rücksicht nehmen. Ich möchte für immer hier stehen und die Fetzen Ungezwungenheit spüren, die ihre sanften Finger kühl auf meine Haut legen und mich bei Ferkel halten wollen.
Nach ein paar Sekunden reiße ich mich los, grinse Ferkel schief an.
"Bis später, Ginger."
Sie lächelt und kramt nach einem Kaugummi.
"Bis später, du Psycho. Pass auf dich auf."
Mit einem mechanischen Nicken drehe ich mich um und gehe hoch. Ich drehe mich nicht mehr um obwohl ich Ferkels Blick brennend im Rücken spüren kann. Die Freiheit endet an den Stufen zur Station und die Arbeit beginnt erneut.

5 Kommentare:

anonnika hat gesagt…

So wunderschön geschrieben! Berührend.

Unknown hat gesagt…

Atemberaubend. Ich liebe es.

Madame Traumtänzerin hat gesagt…

Versuch durchzuhalten, du wunderbarer Mensch.

hannah hat gesagt…

Es zu lesen, ist gleichzeitig so schmerzhaft wie angenehm:

der Inhalt zerreißt, wie du es beschreibst, laesst mein Herz hoeher schlagen.


Hannah.

Rebecca hat gesagt…

Ich denk an dich.
Von dir zu lesen macht mich immer glücklich, danke ♥