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Und ich frag dich was geht - Und du fragst mich was bleibt

Ich hasse es, wenn Türen abgeschlossen sind. In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß, meine Finger beginnen zu zittern und mein Atem wird flacher.
Die Türen dort waren die ganze Zeit zu. Sie gehen nur auf wenn Besuch rein oder raus will. Für mich war selten Besuch da. Manchmal meine Mutter, aber die meiste Zeit habe ich den anderen zugesehen, wie sie mit den Augen an ihrer Familie klebten, als sich die Türen wieder schlossen und das kleine Klicken verriet, dass sie verriegelt waren. Manchmal war ich mir nicht einmal sicher, ob sie ihnen überhaupt nach gesehen haben oder ob die Medikamente mich Dinge sehen ließ, die gar nicht da waren. Ist schon ein paar Mal vorgekommen und dieses Mal waren es viele Medikamente. So viele, dass ich die Namen nicht wusste, während ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt habe, weil die Dosierung zu hoch war.
Ich habe mit niemandem gesprochen, nur ein Nicken hin und wieder. Egal wie viele Männer mich sabbernd angesehen haben, egal wie sehr ich ihr Verlangen gespürt habe, ich bin nicht ausgeflippt. Hätte mir eh nichts gebracht, ich wäre höchstens fixiert worden. Weg rennen konnte ich nicht, genau aus dem Grund bin ich ja erst hier hin gekommen. Weil die Gefahr zu hoch war, dass ich ein zweites Mal versuchen würde, mich vor die Bahn zu schmeißen. Ich weiß gar nicht, wieso ich es das erste Mal nicht richtig durchgezogen habe. Kurz vor knapp zurück gezuckt, wie ein elender Feigling.
Auf der geschlossenen habe ich Mehmet kennen gelernt. Er war der einzige, mit dem ich ein bisschen mehr gesprochen habe. Eigentlich habe ich nicht so viel gesprochen, ich habe mehr zugehört. Ich war zu müde, zu erschöpft um zu sprechen. Ich habe mir seine Geschichte angehört und an den richtigen Momenten ein leises "Oh..." von mir gegeben. Aber nur so lange, bis Mehmet mich gefragt hat, wieso ich hier bin. Was soll man auf sowas denn antworten? Das klingt alles beschissen, als wäre ich kleine 10 Jahre alt und würde aus einer Laune heraus versuchen, mir das Leben zu nehmen. Als wäre das alles Kinderkram, was es ja eigentlich fast auch schon ist.
"Weswegen bist du hier?"
"Konnte nicht mehr."
"Ja, das kenn ich. Probleme zu Hause?"
"Hm."
"Hast du nen Freund?"
"Hmja."
"Ist das wegen ihm?"
Er zeigt auf meinen Verband. Angeschwollener Arm, weil sich die Schnitte und Brandwunden entzündet haben.
Ich sage nichts, ich starre nur auf meinen Arm. Als ob ich in dem Weiß irgendeine Lösung finden würde. Irgendwas Neues.
"Er hat dir weh getan." Das ist keine Frage, also sehe ich mich auch nicht gezwungen etwas darauf zu antworten.
"Guck mich an." Er sagt es in einem Befehlston. Sofort schießt mein Kopf hoch.
Er sieht mich ruhig an, nichts deutet auf Gefahr hin. Ich begreife erst zu spät, dass ich mich verraten habe. Jetzt weiß er, was er wissen wollte. Dass ich Angst habe.
"Ich kann dir helfen."
Ich schaue wieder weg, muss fast müde grinsen. Als ob er das könnte.
"Ich..." Er flüstert nun. "Ich war früher mal Zuhälter. Hab da viel mitgekriegt. Ein Kerl hat der Schwester von nem Kollegen auch was angetan. Ham' ihm nen Molotowcocktail in die Bude geworfen."
Ich schauder.
"Lebt der noch?" murmel ich leise.
"Keine Ahnung. Aber ich kann dir helfen. Ich kann auf dich aufpassen. Du zeigst mir den und dann sagst du mir, was ich mit dem machen soll. Ganz egal was. Ich machs."
Mir wird schlecht. Nicht leicht schlecht, sondern kotzübel. Ich habe Angst, dass ich mich übergeben muss und wende mich ab.
"Ich hab nichts mehr zu verlieren. Schau mich an, ich bin 45 Jahre, ich hab keine Familie mehr und du bist so jung. Du hast dein ganzes Leben vor dir, willst du das deswegen weg werfen? Ich kann dich da raus holen, ich kenne solche Jungs. Die hören nicht auf. Schlägt er dich? Vergewaltigt er dich? Falls ja, dann sei froh, als nächstes wird er dich wahrscheinlich verkaufen. An andere Kerle, du musst dann nach seiner Pfeife tanzen. Er ist der Boss. Er wird dir die Knochen brechen, er wird den letzten Rest Widerstand aus dir raus prügeln. Schau dich mal an, du bist viel zu schwach für sowas. Du hast so viel Angst, dass du dich lieber umbringen würdest, dein Leben weg wirfst, als dich zu wehren. Das bekommst du alleine nicht hin. Und ich bin da. Ich kann dir helfen. Ich war früher selber mal so ein Kerl, aber bei Allah, ich hab dem abgeschworen. Vertrau mir, ich weiß wie solche Jungs ticken, und es wird schlimmer, nicht besser."
Ich höre zu, aber die Infos sickern nur langsam in mein Gehirn. Ich glaube ihm, irgendwas in mir weiß, dass er die Wahrheit sagt. Langsam kratze ich die Fakten zusammen.
Er kann mir auch weh tun.
Er war früher auch wie M.
Er würde M verletzen.
Er würde ihn vielleicht sogar töten.
Er kann mich da raus holen.
Er würde M verletzen.
Ich wäre frei.
Er würde M verletzen.

1 Kommentar:

claire hat gesagt…

das alles macht mir angst um dich. bist du wieder zuhause? kommst du irgendwie daraus? fühlst du dich irgendwo sicher?
ich wünsche dir ganz viel mut und lebenswillen <3