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kiss me until I forget how worthless I am

Die Angst kriecht mir in den Nacken, während ich die Taschen über den Gehweg schleife. Das Geräusch von zerrissenem Stoff bricht die Stille, lässt mich für einen Moment inne halten. Ich drehe mich genervt um, stöhne und werfe die Tasche Luca in die Arme.
"Kannst du mal nehmen?" 
Er nickt, lächelt mich kurz an, bevor er sich umdreht und mich ins Haus bringt. Wie immer lässt meine Mutter einen giftigen Satz los, irgendwas, was mich treffen soll. Tut es aber nicht. Der Zug ist abgefahren. Sie hat bereits alles zerstört, was da noch an Familie war. Und mittlerweile tut es auch fast gar nicht mehr weh, dass sie mich von Heute auf Morgen mit Sack und Pack auf die Straße gesetzt hat und mich mir selbst überlassen hat.
Die Angst kriecht mir mit jeder Stufe, die ich Lucas Wohnung näher komme, tiefer unter die Haut. Was, wenn das alles ein Fehler ist, wenn Luca doch nicht okay ist, wenn er mich vielleicht wieder raus wirft, wenn ich die Beine nicht mehr breit mache? Was, wenn er wie M ist, was, wenn er sich einfach verändert? 
Der Kloß in meinem Hals wächst auf die Größe einer Wassermelone, schneidet mir die Luft ab, während wir Lucas Wohnung betreten. Sie ist klein. Sehr klein. Ein Zimmer, in dem ein rotes Sofa steht, ein Fernseher und ein paar spärlich zusammen gewürfelte Deko Sachen. Eine Junggesellenbude, wie sie im Buche steht. Aber hier drin ist Liebe. In dieser Wohnung herrscht Leben, so viel Leben, dass es mich für einen Moment taumeln lässt.
Das hier ist nun also mein neues zu Hause. Ich hole Luft, trete durch die Tür und sauge alles in mich auf. Die Küche, in der Toast rum fliegt, eine hastig geschlossene Butterdose und ein paar Messer. Es ist kein Chaos, es ist belebt. Ein bisschen Leben in einer sonst sehr leeren Wohnung, die doch so voll ist, mit Dingen, die sich nicht einfangen lassen. 
Aber das hier ist nun mein neues zu Hause. Ich sage es mir im Kopf vor, versuche zu erkennen, was mein Bauch sagt, welchen Rat er mir gibt. Doch er schweigt. Da ist nichts, keine Gefühle, nicht einmal Dankbarkeit, dass Luca mich aufnimmt. Dass er mich zu sich holt, obwohl wir uns doch kaum kennen. Ein bisschen Sex, ein paar Gespräche. Alles hastig, leise, verhuscht, leise geflüsterte Worte und ein paar schöne Lügen. Doch dahinter ist die Wahrheit. Ich weiß es, ich spüre es, wie er mich ansieht. Hinter all den Witzen, den sarkastischen Bemerkungen und dem breiten Grinsen steckt mehr. In seinen Augen blitzt etwas, etwas, was ich lange nicht mehr gesehen habe.
Hoffnung. Pure Hoffnung, vielleicht auch ein bisschen Angst. Irgendetwas ist da, was mich an ihm fasziniert. Was ihn interessant macht, was mir das Gefühl gibt, ihm vertrauen zu können. Aber kann ich das? Kann ich mir das leisten? Kann ich überhaupt noch jemandem vertrauen, oder sollte ich einfach meinen eigenen Weg gehen?
Panik packt mich, springt mir feige von hinten in den Nacken und lässt meinen Körper pulsieren. Ich bebe, die Mauern brechen ein und ich werde von einer Welle von Gefühlen überrollt. Angst, Hoffnung, Freude, Wut, alles vermischt sich zu einem klebrigen Brei, der mich ertrinken lässt.
Ich wende mich von Luca ab, tiger nervös durch die Wohnung, warte darauf, dass meine Mutter verschwindet. Ich will sie nicht mehr sehen, ich will niemanden mehr sehen. Ich will mich verstecken, dahin flüchten, wo mich niemand mehr sieht, niemand mehr von mir enttäuscht ist.
Obwohl ich ihn nicht ansehe bemerkt Luca meine Panik, zwinkert mir aufmunternd zu und grinst von einer Wange zur anderen.
Und plötzlich passiert es. Die Hoffnung, die aus seinen Augen strahlt, umwirbt mich. Sie verspricht mir, dass wir das hin bekommen können, dass ich nicht verloren bin. Sie malt mir Bilder von der Zukunft, verspricht mir, dass es dann alles einfacher wird. Dass Luca hinter mir steht, dass er das ist, was ich in ihm sehe. Dass ich mich dieses Mal nicht täusche, dass das hier mein neues Leben werden kann. 
Ich habe keine Chance, die Hoffnung hat mich eingelullt, umworben, mir schöne Augen gemacht. Und so sehr ich mich dagegen wehre, so sehr meine Angst dagegen anschreit, ich kann ihr nicht widerstehen. Lucas Augen versprechen mir etwas, etwas, was ich nicht einmal in Worte fassen kann. 
Es ist dieses kleine Blitzen, das mich beruhigt. Mein Herzschlag normalisiert sich, meine Finger hören auf zu zittern, mein Atem wird langsamer, entspannter. 
In diesem Moment beschließe ich, dass das hier mein Neuanfang wird. Mit Luca, in dieser Wohnung, an diesem Tag. Ich muss es schaffen, wir müssen es schaffen. Denn Lucas Hoffnung, seine Zuneigung heilt die Wunden, die die spitzen Klingen in mir drin hinterlassen haben, kühlen und umsorgen sie. 
Auf einen Neustart, dieses Mal den Letzten. 

1 Kommentar:

Madame Traumtänzerin hat gesagt…

Ich hoffe, dass es wirklich gut für dich dort ist. Inzwischen wohnst du ja etwas mehr als zwei Wochen dort. Wie geht es dir dort? Haben sich die Hoffnungen erfüllt? Kannst du dort atmen und leben? Ich würde es dir wünscehn