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Remember? No.

Liebe vergangene M,
du kennst diese Art von Briefen, das ist nicht der Erste. Aber dennoch finde ich es wichtig, diese Worte an dich zu richten, denn mein Körper bekommt Risse, wenn ich all diese Worte bei mir behalte. Sie platzen raus, nachts, in den Träumen. Doch am Tag, da bin ich wieder stumm. Da halte ich Gefühle von mir weg, kiffe mich weg, bis ich mich über all das, was geschehen ist, lustig machen kann. Bis ich all das in den Dreck ziehen kann, dort, wo es hingehört. Es hat einen unverdienten Platz in meinem Herzen, es brennt Löcher hinein.
Wenn du das nun liest, dann denkst du, dass dir die Zukunft offen steht. Dass du alles schaffen kannst, wenn du es nur willst, und dass du dir keine Zeit nehmen kannst. Aber ich kann dir sagen, dass du dir diese Zeit nehmen musst. Das alles verschwindet nicht, nicht einmal, wenn du so viel konsumierst, bis dein Körper schlapp macht. Die Ohnmacht hilft nicht lange, genauso wenig das rauchen. Nichts hilft, weder ballern, noch rauchen, noch vergessen. Denn sind wir einmal ehrlich, das ist nicht zu vergessen. All das gehört zu dir, zu mir auch noch. Es wird kleiner, mit der Zeit, es schrumpft, wenn du es pflegst. Du musst es liebkosen, ihm zeigen, dass du es annimmst.
Und das ist verdammt schwer. Das alles hinzunehmen, ohne zu fragen. Es einfach einmal anzunehmen, auszusprechen, was du sonst immer klein redest. Denn alles was passiert ist, das war kein Unfall.
F hat dich vergewaltigt, in vollem Bewusstsein. Er hat dir eingeredet, dass es deine Schuld ist, er war geschickt. Er hat alles gut gedreht, so gut, dass dein Kopf seine Lügen als Wahrheit hingenommen hat.
M hat dich vergewaltigt und geschlagen. Nicht, weil du etwas falsch gemacht hast, sondern, weil er schwach ist. Weil er zu schwach ist, grade zu stehen, weil er dich nicht respektiert. Er nimmt dich, deinen Körper, als ob all das selbstverständlich wäre. Das ist es aber nicht.
M hat sich an seine Freunde verkauft, für ein Bier oder ein paar Euro. Er hat dich an drei Kerle verkauft, deren Gesichter dich heute immer noch aus der Dunkelheit gierig anstarren.
S hat dich verraten, er war nicht der Freund, den du in ihm gesehen hast. Er hat dich von sich gestoßen, er hat deine Hilferufe ignoriert und dich allein gelassen. Er hat nicht auf dich aufgepasst, wie er es versprochen hatte, nein, schlimmer noch, er hat dich auch für ein paar Euro gefickt. Er hat M mehr geglaubt als dir, er hat dich hängen lassen.
Und auf der Straße, dieses Jahr sogar noch, da hat auch niemand auf dich geachtet. Und das, obwohl du Leo doch gebeten hattest, dich nach Hause zu bringen. Doch er hat verneint, hat dich morgens um fünf alleine auf die Straße geschickt. Du hattest keine große Wahl, das weiß ich. Leo hat dich angefasst, hat dich zugedröhnt, bis du kaum noch etwas mitbekommen hast, und hat dich gevögelt. Er hat nicht gefragt, aber du hättest so oder so nicht antworten können.
Doch er hat nicht auf dich gehört, und so hat dir der letzte Kerl in unserer kleinen Geschichte die Würde geraubt. Hat dich bedroht und hat sich das genommen, wonach ihm grade der Sinn stand. Deinen Körper.
Und dann noch Lucas Nachbar, der dir an den Arsch geht und dich küsst, obwohl du nicht möchtest.
Und all das musst du hinnehmen. Denn es bringt nichts, nachzufragen. Die große Frage, das große Warum, das wird dir niemand beantworten können. Keiner von den Typen, keine Therapeutin, niemand. Und seien wir ehrlich, du willst keine Antwort. Ich weiß, grade verzehrst du dich nach Antworten. Ob sie dich ausgewählt hatten, oder ob du einfach zur falschen Zeit am falschen Ort warst. Warum sie das getan haben. Warum sie nicht auf dein Nein gehört haben.
All das sind Fragen, die berechtigt sind. Ich kann mich von der Neugier nicht frei sprechen, sie wird sicher immer da sein. Aber ich denke, dass es nicht gut wäre, all die Fragen zu stellen. Denn keine Antwort der Welt wird dir das wieder geben, was du verloren hast. Diese kleinen Teile von dir, die sich von dir gelöst haben, die all den Schmerz nicht aushalten konnten, die werden die Antworten nicht zurück bringen. Keine Antwort, kein Geld der Welt würde diese Taten wieder gut machen.
Das klingt alles schlimm, und ich weiß, dass du Angst hast, wenn du dir das nun durch lesen wirst. Doch ich kann dir Mut machen. In drei Jahren, an diesem Tag heute, wirst du am Laptop sitzen, in einem Raum, dessen Wände vor Leben nur so strotzen. In der Küche neben dir wird Luca die Wäsche machen und Olli wird sich an dich kuscheln und dich mit seinen großen Hundeaugen ansehen. Er liebt dich, ebenso wie Luca es tut.
Und Luca wird dir zeigen, dass es nicht normal ist, Schmerzen auszuhalten. Es wird dich berühren, ganz ohne dich anzufassen, er wird dich an der Hand nehmen und sie immer dann halten, wenn du dies zu lässt. Er wird dich in den Arm nehmen, er wird dich weinen lassen. Er wird die Welt drehen, sie umstellen, nur damit es dir besser geht. Er wird jedem aufs Maul hauen, der dir weh tuen will. Er wird dich aufrichtig lieben, und auch wenn du mir das nun nicht glaubst, du liebst ihn ebenso. Du wirst dich bei ihm sicher fühlen, du wirst ein zu Hause haben. Du wirst angekommen und angenommen sein.
Dein Leben, diese kleinen zwanzig Jahre, die es nun alt ist, wird sich zum Besseren wenden. Es wird nicht immer perfekt sein und es wird ein langer Weg werden, mit all dem klar zu kommen, doch du bist endlich nicht mehr allein. Du hast Leute bei dir, die auf dich aufpassen, Leute, denen du wichtig bist.
Du wirst einsehen, dass du stark bist, viel stärker, als du jemals gedacht hast. Du hast Selbstmordversuche hinter dir, und deine Arme und Beine tragen Narben, für die du dich nicht mehr schämen wirst. Denn du bist soweit, dass du zu dir stehen kannst, dass du deine Schwächen und Stärken sehen und fühlen kannst. Du kannst Gefühle zulassen, und wenn sie dich übermannen, dann bist du nicht allein.
Du wirst allen zeigen, dass du jemand bist, dass du etwas kannst, und dass kein Mann der Welt dich unterbuttern kann. Dass du den ganzen Schmerz und die Erniedrigungen überlebt und überstanden hast, und dass du bereit bist, nach vorne zu blicken. Dass du bereit bist, nicht nur zu überleben, sondern endlich zu leben. Den Wind auf der Haut zu spüren, ehrlich lachen und Probleme nicht mehr in dich rein fressen, sondern sie offen ansprechen.
Ich sage dir das alles, denn ich habe all die Jahre dafür gebraucht, an diesen Punkt zu kommen. Doch nun bin ich da, und ich weiß, dass du mir folgen wirst.
Hab keine Angst, es wird alles gut.
Deine M

4 Kommentare:

Sofia hat gesagt…

so so so beruert. <3

Anna hat gesagt…

Wie sehr mich dieser Brief freut! YES!

Rebecca hat gesagt…

Ich glaube, ich habe selten ehrlichere Worte gelesen und noch seltener habe ich mich so darüber gefreut.
Denn auch wenn ich nicht in Worte fassen kann, wie die letzten Jahre für dich gewesen sein müssen, so kann ich doch sagen, wie deine Zukunft aus deinem Mund klingt.
Zuversichtlich.
So viel Zuversicht.
Pass auf dich auf, M und lass Luca auf dich aufpassen
und sag alles, was gesagt werden muss.

Ich werde jeden Satz, jedes Wort lesen,
wo auch immer ich bin.

Es ist schön und beruhigend, dass du noch immer hier bist,
noch immer hier schreibst.
Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst,
wie viel mir dein Blog bedeutet.
Aber ich weiß, dass mir etwas fehlen würde, wenn er, wenn du nicht mehr hier in dieser unwirklichen Welt wärst.

Jacky hat gesagt…

Ich bin so stolz auf dich!